Mahabharata, Adi Parva, Kapitel 105

Wie die Bharata Dynastie fortgesetzt werden soll

Bhishma sagte: "O Mutter, höre mir zu, wie ich die Mittel beschreibe, durch welche das Bharata Geschlecht fortgesetzt werden kann. Laß einen vollendeten brahmana durch das Anbieten von Reichtum einladen und laß ihn mit den Frauen von Vichitravirya Nachkommen zeugen."

Darauf lächelte Satyavati sanft und sprach Bhishma mit vor Schüchternheit gebrochener Stimme an und sagte: "O starkarmiger Bharata, was du sagst ist wahr. Aus meinem Vertrauen zu dir werde ich nun die Mittel für die Weiterführung unseres Geschlechtes nennen. Du sollst nicht in der Lage sein sie abzulehnen, da du mit den Praktiken, die in Zeiten der Not erlaubt sind, vertraut bist. In unserem Geschlecht bist du Tugend; und du bist Wahrheit; und du bist auch unsere einzige Zuflucht. Höre deswegen genau, was ich sage und tue das, was richtig sein mag.

Mein Vater war ein tugendhafter Mann. Aus Tugendhaftigkeit unterhielt er ein (Fähr-) Boot. Eines Tages, in der Blüte meiner Jugend, ging ich dieses Boot fahren. Es geschah, daß der große und weise Rishi Parasara, dieser Erste aller tugendhaften Menschen kam. Er begab sich zu meinem Boot, um die Yamuna zu überqueren. Als ich ihn über den Fluß ruderte, wurde der Rishi mit Verlangen erfüllt und begann mich mit sanften Worten anzusprechen. Die Furcht vor meinem Vater war an höchster Stelle in meinen Gedanken. Doch der Schrecken vor dem Fluch des Rishi gewann schließlich die Oberhand. Und nachdem ich von ihm einen wertvollen Segen erhalten hatte, konnte ich ihm seine Bitten nicht abschlagen. Der Rishi brachte mich durch seine Energie unter seine vollständige Kontrolle und befriedigte seinen Wunsch dann und dort, nachdem er die Umgebung in einen dichten Nebel gehüllt hatte. Davor gab es einen abstoßenden, fischigen Geruch in meinem Körper; doch der Rishi vertrieb ihn und verlieh mir meinen gegenwärtigen Duft. Der Rishi sagte mir auch, daß obwohl ich sein Kind auf einer Insel des Flusses bekomme, ich dennoch weiterhin Jungfrau (sein) würde. Das von mir in meiner Jungmädchenzeit zur Welt gebrachte Kind von Parasara wurde ein großer Rishi, der mit enormer asketischer Kraft ausgestattet und unter dem Namen Dwaipayana (der Inselgeborene) bekannt ist. Dieser berühmte Rishi, der durch seine asketische Macht die Vedas in vier Teile aufgeteilt hat, wird auf der Erde Vyasa (der Aufteiler oder Arrangeur) genannt, und wegen seiner dunklen Farbe Krishna (der Dunkle). Aufrichtig in der Rede, frei von Leidenschaft, ein mächtiger Asket, der all seine Sünden verbrannt hat, ging er unmittelbar nach seiner Geburt mit seinem Vater davon. Von mir und auch von dir erwählt, wird dieser unvergleichlich großartige Rishi sicherlich gute Kinder mit den Frauen deines Bruders zeugen. Als er davonging, sagte er mir: "Mutter, denke an mich, wenn Du in Schwierigkeiten bist." Ich werde ihn nun rufen, wenn du, o starkarmiger Bhishma, es wünscht. Wenn du einverstanden bist, o Bhishma, bin ich mir sicher, daß dieser große Asket Kinder auf Vichitraviryas Feld hervorbringen wird."

Als der große Rishi erwähnt wurde, sagte Bhishma mit gefalteten Händen: "Jener Mensch ist wahrlich intelligent, der seine Augen wohlbedacht auf Tugend, Gewinn und Freude richtet und der, nachdem er mit Geduld nachgedacht hat, in solch einer Weise handelt, daß Tugend zu zukünftiger Tugend führen kann, Gewinn zu zukünftigem Gewinn und Freude zu zukünftiger Freude. Deswegen ist das, was von dir gesagt wurde, nicht nur segensreich für uns, sondern befindet sich im Einklang mit Tugend, ist sicherlich der beste Rat und hat meine volle Zustimmung." Und als Bhishma das gesagt hatte, dachte Kali (Satyavati) an den Muni Dwaipayana. Als Dwaipayana, der gerade damit beschäftigt war, die Vedas zu interpretieren, erfuhr, daß er von seiner Mutter aufgerufen wurde, kam er sofort zu ihr, ohne daß es jemand wußte. Satyavati begrüßte ihren Sohn gebührend und umarmte ihn, wobei sie ihn in ihren Tränen badete, da die Tochter des Fischers beim Anblick ihres Sohnes nach so langer Zeit bitterlich weinte. Und als sie ihr erster Sohn, der große Rishi Vyasa, weinen sah, wusch er sie mit kühlem Wasser, beugte sich vor ihr nieder und sagte: "O Mutter, ich bin gekommen, um deine Wünsche zu erfüllen. O Tugendhafte, weise mich ohne Verzögerung an. Ich werde deinen Wunsch ausführen." Der Familienpriester der Bharatas verehrte den großen Rishi wie es sich gehörte und jener nahm die Verehrung an und sprach die üblichen mantras. Zufrieden mit der erhaltenen Verehrung, setzte er sich auf seinen Platz. Als Satyavati sah, daß er es sich gemütlich gemacht hatte, sprach sie ihn nach den üblichen Erkundigungen an und sagte: "O Gelehrter, Söhne erlangen ihre Geburt beiderseits vom Vater und der Mutter. Sie sind deswegen das gemeinsame Eigentum beider Eltern. Es kann nicht den geringsten Zweifel daran geben, daß die Mutter genausoviel Macht wie der Vater über sie hat. O brahmarshi, so wie du gemäß der Verordnung mein ältester Sohn bist, ist Vichitravirya mein jüngster Sohn. Und wie Bhishma Vichitraviryas Bruder väterlicherseits ist, so bist du sein Bruder mütterlicherseits. Ich weiß nicht, was du denken magst, doch das ist es, was ich denke, o Sohn. Dieser Bhishma, der Sohn von Santanu, der Wahrheit ergeben, hat um der Wahrheit willen keinen Wunsch Kinder zu bekommen oder das Königreich zu regieren. Deswegen, aus Zuneigung für deinen Bruder Vichitravirya, für die Fortsetzung unserer Dynastie, für Bhishmas Bitte und meine Anweisung, für die Güte gegenüber allen Kreaturen, für den Schutz der Leute und aus der Großzügigkeit deines Herzens, o Sündloser, ist es für dich gebührend, daß du tust was ich sage. Dein jüngerer Bruder hat zwei Witwen zurückgelassen, die wie die Töchter der Himmelsbewohner selbst sind, mit Jugend und großer Schönheit versehen. Der Tugend und Religion willen wünschen sie sich Nachkommen. Du bist die geeignetste Person, um ernannt zu werden. Deswegen zeuge mit ihnen Kinder, die unserem Geschlecht würdig sind, für die Fortsetzung unserer Linie."

Als Vyasa dies hörte, sagte er: "O Sündlose, es muß so sein wie du sagst. Triff die Vorkehrungen, daß die Damen sofort empfangen können. In einem Königreich ohne König gehen die Leute aus Mangel an Schutz zugrunde; Opfer und andere heiligen Akte werden eingestellt; die Wolken senden keinen Regen; und die Götter verschwinden. Wie kann ein Königreich, das keinen König hat, beschützt werden? Deswegen siehe zu, daß die Damen empfangen. Bhishma wird über die Kinder wachen, solange sie im Schoß der Mutter sind.

Da ich meinem Bruder derart unpassend Kinder geben soll, laß die Frauen meine Häßlichkeit ertragen. Das soll in ihrem Fall die schwerste Buße sein. Wenn die Prinzessin von Kosala meinen üblen Geruch, mein häßliches und grimmiges Antlitz, meine Kleidung und meinen Körper ertragen kann, dann soll sie ein hervorragendes Kind empfangen."

Nachdem der mächtige Vyasa so zu Satyavati gesprochen hatte, sagte er zu ihr: "Laß die Prinzessin von Kosala, in saubere Gewänder gekleidet und mit Schmuck versehen, in ihrer Bettkammer auf mich warten." Mit diesen Worten verschwand der Rishi. Satyavati ging darauf zu ihrer Schwiegertochter und sagte ihr im privaten diese nützlichen und tugendhaften Worte: "O Prinzessin von Kosala, höre was ich sage. Es steht mit Tugend im Einklang. Durch mein Unglück ist die Dynastie der Bharatas erloschen. Als der weise Bhishma, der sich auch die Fortsetzung unseres Geschlechtes wünscht, meinen Kummer und die Auslöschung seiner väterlichen Nachfolge sah, machte er mir einen Vorschlag, dessen Erfüllung aber von dir abhängt. Vollbringe ihn, o Tochter, und stelle die verlorene Nachfolge der Bharatas wieder her. O du mit lieblichen Hüften, bringe ein Kind zur Welt, daß an Pracht dem Herrn der Himmelsbewohner gleichkommt. Er soll die beschwerliche Last dieses unseres geerbten Königreiches tragen."

Als Satyavati mit großen Schwierigkeiten die Zustimmung ihrer tugendhaften Schwiegertochter zu ihrem Vorschlag, welcher mit Tugend nicht unvereinbar war, erfolgreich erhalten hatte, speiste sie brahmanas und Rishis und zahllose Gäste, die zu dem Anlaß ankamen.

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