Mahabharata, Drona Parva, Kapitel 52

Die Dame Tod nimmt ihre Bestimmung an 

Die Dame Tod ist mit ihrer Bestimmung nicht glücklich; sie führt für lange Zeit schwere Entsagungen aus; die Geschöpfe sind für den Tod selbst verantwortlich.

Narada [der Erzähler] sagte:
Die hilflose Dame [der soeben geborene Tod; siehe voriges Kapitel], die ihren Pfeil [Schmerz? Zorn?] in ihrem eigenen Selbst unterdrückte, sprach mit gefalteten Händen den Herrn der Schöpfung [Brahma] an, vor Demut wie eine Kriechpflanze gebeugt. Und sie sagte: "O Bester der Sprecher, wie soll ich als dein Geschöpf und als weibliches Wesen solch eine grausame und böse Handlung tun [die Geschöpfe töten], wissend daß es grausam und böse ist? Ich fürchte Ungerechtigkeit sehr. O göttlicher Herr, sei barmherzig. Söhne und Freunde und Brüder und Väter und Ehemänner sind einem stets lieb; jene, die diese Verluste erleiden (wenn ich [ihre Angehörigen] töte), werden versuchen mir zu schaden. Dies fürchte ich. Die Tränen, die den Augen der leidenden und weinenden Personen entströmen, erfüllen mich mit Angst, o Herr! Ich suche bei dir Schutz. O göttliches Wesen, o Erster der Götter, ich werde nicht zum Aufenthaltsort Yamas gehen. O Segnender, ich beschwöre dich oder deine Gnade und beuge meinen Kopf und falte meine Hände. O Großvater der Welten, ich erflehe diesen Wunsch von dir (erfüllt). Ich wünsche mir, mit deiner Erlaubnis, asketische Bußen auszuführen, o Herr der geschaffenen Dinge! Mit deiner Erlaubnis werde ich zu dem vorzüglichen Heim von Dhenuka gehen! Während ich mit deiner Verehrung beschäftigt bin, werde ich mich dort der schwersten Entsagungen unterziehen. Ich werde nicht in der Lage sein, o Herr der Götter, den vor Leid weinenden lebenden Geschöpfen den geliebten Lebensodem wegzunehmen. Beschütze mich vor Ungerechtigkeit."

"O Tod, es wurde dir bestimmt, die Vernichtung von Geschöpfen zu erwirken. Geh, vernichte alle Geschöpfe, du brauchst keine Bedenken zu haben."

Brahma sagte:
"O Tod, es wurde dir bestimmt, die Vernichtung von Geschöpfen zu erwirken. Geh, vernichte alle Geschöpfe, du brauchst keine Bedenken zu haben. Es muß so sein. Es kann nicht anders sein. Führe einfach mein Geheiß aus. Niemand in der Welt wird irgendeinen Fehler in dir finden."

Narada [der Erzähler] fuhr fort:
Solcherart angesprochen wurde jene Dame sehr verängstigt. [Anm: Originalsanskrit prita - zufriedengestellt, der engl. Übersetzer nimmt sich jedoch die Freiheit einer Korrektur und liest bhita - verängstigt] Brahmas Angesicht betrachtend, stand sie mit gefalteten Händen da. Aus dem Wunsch, den Geschöpfen Gutes zu tun, fing sie nicht mit deren Vernichtung an. Auch der göttliche Brahma, dieser Herr der Herren aller Geschöpfe, blieb still. Und bald wurde der Großvater [Brahma] in seinem eigenen Selbst zufrieden. Und seinen Blick über die ganze Schöpfung schweifen lassend, lächelte er. Und darauf lebten die Geschöpfe weiterhin wie zuvor, nämlich unberührt von vorzeitigem Tod. Und nachdem der unüberwindliche und erhabene Herr seinen Zorn losgeworden war, verließ jene Dame die Gegenwart dieser weisen Gottheit. Brahma verlassend, ohne zugestimmt zu haben, Geschöpfe zu vernichten, begab sich die Dame mit dem Namen Tod schnell zu dem Zufluchtsort namens Dhenuka. Nachdem sie dort angekommen war, führte sie exzellente und äußerst strenge Gelübde aus. Und sie stand dort für sechzehn Milliarden Jahre auf einem Bein und auch fünf mal zehn Milliarden [Jahre], aus Mitleid mit den lebenden Geschöpfen und dem Wunsch ihnen Gutes zu tun. Und die ganze Zeit hielt sie ihre Sinne von deren begehrten Sinnesobjekten zurück. Und wieder, o König, stand sie auf einem Bein da, für einundzwanzig mal zehn Milliarden Jahre. Und dann wanderte sie für zehn mal zehntausend Milliarden Jahre mit den Geschöpfen (der Erde). Als nächstes begab sie sich zu dem heiligen Nanda, der voller kühlem und reinem Wasser war, und verbrachte in diesen Wassern achttausend Jahre. Strenge Gelübde bei Nanda einhaltend, reinigte sie sich selbst von allen Sünden. Dann begab sie sich zuerst zu dem heiligen Kausiki, Gelübde befolgend. Nur von Luft und Wasser lebend, führte sie dort Entsagungen aus. Sich dann zu Panchaganga und als nächstes zu Vetasa begebend, mergelte diese gereinigte Dame ihren eigenen Körper durch diverse Arten besonderer Entsagungen aus. Als nächstes zur Ganga und dann zu dem großen Meru gehend, verblieb sie bewegungslos wie ein Stein, ihren Lebensatem aufhebend. Von dort ging sie auf die Spitze des Himavat, wo die Götter (in alten Zeiten) ihre Opfer ausgeführt hatten. Das liebenswürdige und verheißungsvolle Mädchen blieb für eine Milliarde Jahre und stand nur auf den Zehen ihrer Füße. Sich nach Pushkara und Gokarna und Naimisha und Malaya wendend, mergelte sie ihren Körper aus, ihrem Herzen zusprechende Entsagungen ausführend. Sie lebte ohne irgendeinen anderen Gott anzuerkennen in ständiger Hingabe zum Großvater [Brahma] und stellte den Großvater auf jede Weise zufrieden.

Dann sagte der zufrieden seiende, unveränderliche Schöpfer der Welten mit einem gerührten und erfreuten Herzen zu ihr: "O Tod, warum führst du solche schwere, asketische Entsagungen aus?"

So angesprochen sagte Tod zu dem göttlichen Großvater: "Die Kreaturen, o Herr, leben in Gesundheit. Sie verletzen einander nicht einmal durch Worte. Ich werde nicht in der Lage sein, sie zu töten. O Herr, ich wünsche mir diese Segnung von dir. Ich fürchte Sünde und deswegen bin ich mit asketischen Entsagungen beschäftigt. O Gesegneter, entferne meine Ängste für immer. Ich bin eine Frau in Kummer und ohne Fehl. Ich bitte dich, sei du [mein] Beschützer."

Der Gerichtshof Yamas, des Gott des Todes, der Religion und der Gerechtigkeit.
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Der göttliche Brahma, mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vertraut, sagte zu ihr: "Du sollst durch das Töten dieser Kreaturen keine Sünde begehen, o Tod. Meine Worte können niemals vergebens sein, o Liebenswürdige! Deswegen töte diese vier Arten von Geschöpfen, o verheißungsvolle Dame. Du wirst immer ewige Tugend besitzen. Jener Regent der Welt, Yama [der Gott des Todes und der Gerechtigkeit] und die verschiedenen Krankheiten sollen deine Gehilfen werden. Ich selbst und all die Götter werden dir Segnungen erteilen, sodaß du frei von Sünde und völlig gereinigt sogar Ehre erlangen kannst."

Solcherart angesprochen, o Monarch, faltete diese Dame ihre Hände noch einmal und suchte Gnade, indem sie sich mit ihrem Kopf vor ihm niederbeugte und sagte diese Worte: "O Herr, wenn das ohne mich nicht sein soll, dann platziere ich deinen Befehl auf meinem Kopf [= ich gehorche]. Höre dennoch zu, was ich sage. Laß Habsucht, Zorn, Bosheit, Neid, Streit, Torheit und Schamlosigkeit und andere üble Leidenschaften die Körper aller verkörperter Kreaturen zerreißen."

Brahma sagte: "Es wird so sein wie du sagst, o Tod. Unterdessen töte die Kreaturen ordnungsgemäß. Sünde wird nicht dein sein, noch werde ich versuchen, dich zu verletzen, o Verheißungsvolle. Jene Tränen von dir, die in meinen Händen sind, sie werden zu Krankheiten werden, die von den lebenden Kreaturen selbst entstehen. Sie werden die Menschen töten; und wenn die Menschen getötet sind, wird Sünde nicht dein sein. Deswegen fürchte dich nicht. In der Tat, Sünde wird nicht dein sein. Der Gerechtigkeit ergeben und deine Pflicht einhaltend, sollst du (alle Kreaturen) töten. Begierde und Zorn aufgebend nimm du das Leben aller lebenden Wesen. Auf diese Weise wird ewige Tugend dein sein. Sünde wird jene töten, die ein böses Benehmen haben. Reinige dich, indem du mein Geheiß erfüllst. Es wird an dir sein, jene die boshaft sind, in ihren Sünden zu versenken. Gib deshalb Begierde und Zorn auf und töte diese lebenden Wesen."

Narada [der Erzähler] fuhr fort [zu dem König Akampana, dessen Sohn gestorben war, zu sprechen]:
Als jene Dame sah, daß sie (beständig) mit dem Namen Tod gerufen wurde, fürchtete sie sich (anders zu handeln). Und auch aus Angst vor Brahmas Fluch sagte sie: "Ja!" Nicht in der Lage seiend, anders zu handeln, gab sie Begierde und Zorn auf und fing an das Leben der Lebewesen zu nehmen, wenn die Zeit gekommen war (für ihre Vernichtung). Nur lebende Wesen sterben. Krankheiten entstehen von den lebenden Wesen selbst. Krankheit ist der abnormale Zustand der Lebewesen. Sie werden von ihr gepeinigt. Deswegen ergib dich nicht fruchtlosem Kummer um Lebewesen, nachdem diese tot sind. Beim Tod der Lebewesen gehen die Sinne mit ihnen (in die andere Welt) und erlangen ihre (jeweilige) Funktionen, wenn sie wieder zurückkommen (mit den Lebewesen, wenn diese wiedergeboren werden). So müssen alle Lebewesen, einschließlich sogar der Götter, dahinscheiden und wie Sterbliche handeln, o Löwe unter den Wesen. Jener Wind, der schrecklich ist und fürchterlich brüllt und sehr stark ist, allgegenwärtig und von unendlicher Energie - es ist der Wind, der die Körper der Lebewesen zerreißen wird. Er wird dabei keine aktive Energie anwenden, noch wird er seine Funktionen einstellen (sondern dies auf natürlichem Wege tun). Sogar all den Göttern haftet das Wesen von Sterblichen an. Deswegen, o Löwe unter den Königen, gräme dich nicht um deinen Sohn! Den Himmel erlangend, verbringt der Sohn deines Körpers seine Tage in fortwährender Glückseligkeit, nachdem er die wunderbaren, für Helden bestimmte Regionen erreicht hat. Alle Leiden hinter sich lassend, hat er die Gesellschaft der Gerechten erlangt. Der Tod wurde vom Schöpfer selbst für alle Geschöpfe angeordnet! Wenn ihre Stunde geschlagen hat, werden die Geschöpfe ordnungsgemäß vernichtet. Der Tod der Geschöpfe kommt von den Geschöpfen selbst. Die Geschöpfe töten sich selbst. [Hiermit ist dies zum dritten Mal in diesem Kapitel betont worden; weder Brahma, noch die Dame Tod, können für das Geschick der Lebewesen verantwortlich gemacht werden.] Tod, mit ihrer Keule [Sense...] bewaffnet, tötet keinen! Deswegen grämen sich die Weisen niemals wegen toter Geschöpfe, denn sie wissen genau, daß der Tod unvermeidlich ist, weil er von Brahma selbst angeordnet wurde. Nachdem du jetzt weißt, daß der Tod von dem Höchsten Gott angeordnet wurde, gib nun ohne zu zögern deinen Gram um deinen toten Sohn auf!

"Jener Wind, der schrecklich ist und fürchterlich brüllt und sehr stark ist, allgegenwärtig und von unendlicher Energie - es ist der Wind, der die Körper der Lebewesen zerreißen wird."

Vyasa [der Erzähler] fuhr fort [zu König Yudhisthira zu sprechen]:
Nachdem König Akampana diese bedeutenden Worte von Narada hörte, wendete er sich an seinen Freund und sagte: "O Erhabener, o Bester der Rishi, mein Kummer ist vergangen und ich bin zufrieden. Diese Geschichte von dir hörend, bin ich dir dankbar und verehre dich." Solcherart angesprochen begab sich dieser Erste der höchsten Rishi, dieser himmlische Asket mit unermeßlicher Seele, in die Wälder von Nandana. Häufiges Rezitieren dieser Geschichte, damit es andere hören können, und auch das häufige Hören dieser Geschichte, wird als reinigend betrachtet und führt zu Ruhm und in den Himmel und ist der Zustimmung würdig. Zudem erhöht es die Lebensdauer. Nachdem du dieser aufschlußreichen Geschichte zugehört hast, gib deinen Kummer auf, o Yudhisthira, und bedenke überdies die Pflichten eines ksatriya und die hohe Stufe (der Seligkeit), die von Helden erlangt werden kann. Abhimanyu, dieser mächtige Wagenkämpfer mit großer Energie, hat vor den Augen aller Bogenschützen (zahllose) Feinde erschlagen und hat den Himmel erlangt. Der große Bogenschütze, dieser mächtige Wagenkämpfer, ist auf dem Schlachtfeld im Kampf gefallen, vom Schwert und Streitkolben und Wurfspeer und Bogen getroffen. Von Soma herkommend, entschwand er in der Mondsubstanz, von all seinen Unreinheiten gereinigt. O Sohn des Pandu, biete all deine Kraft auf, du mit deinen Brüdern, und brich geschwind mit entflammtem Zorn zum Kampf auf, ohne deinen Sinnen zu erlauben, betäubt zu sein.

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